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  • Naht Briefkastenfirmen das Ende?

    Ein Update zur EU-Unshell-Initiative «ATAD 3»

Artikel:

Naht Briefkastenfirmen das Ende? – Ein Update zur EU-Unshell-Initiative «ATAD 3»

09. Juni 2023

Tom Kaufmann, Mitglied Regionaldirektion Zentralschweiz, Regionalverantwortlicher Steuern & Recht, Partner |
Sandro Di Giulio, Dipl. Steuerexperte, Leiter Private Client Services (PCS) |

6 min  

Auf internationaler Ebene zeichnet sich eine deutliche Tendenz ab: Die steuerlichen Anforderungen an die Substanz von Unternehmen steigen stark. Die jüngste EU-Initiative in diesem Zusammenhang zielt auf die missbräuchliche Nutzung von Briefkastenfirmen ab. Erfahren Sie, mit welchen Auswirkungen Unternehmen mit Sitz in der Schweiz rechnen sollten.

Seit längerem sind weltweit intensive Bemühungen im Gange, um steuerliche Gewinnverkürzungen, Gewinnverschiebungen und aggressive Steuerplanungen zu vermeiden. Das «BEPS»-Projekt (Base Erosion and Profit Shifting) der OECD ist dabei für die Praxis von grösster Tragweite und Relevanz. Als Reaktion auf das BEPS-Projekt - im Speziellen auf Aktionspunkt Nr. 6 hinsichtlich Implementierung von Missbrauchsklauseln - hat die EU die «Anti-Tax-Avoidance-Directive 3» lanciert (sog. «ATAD 3» oder auch «EU-Unshell»-Initiative). Die ATAD-3-Initiative soll die einheitliche Umsetzung des erwähnten BEPS-Projektes innerhalb der EU sicherstellen. Im Grundsatz zielt die Direktive auf Briefkastenfirmen ab (sog. «shell-entities»). Damit sind Unternehmen gemeint, die den statutarischen Sitz zwar beispielsweise in der Schweiz haben, die Geschäftstätigkeit jedoch tatsächlich im Ausland ausgeübt wird.

Die Eckdaten

Ende des Jahres 2021 hat die EU den ersten Richtlinienentwurf zur Umsetzung von «ATAD 3» betreffend Verhinderung missbräuchlicher Nutzung von Briefkastenfirmen publiziert. Zwischenzeitlich wurde die Direktive per 17.01.2023 aktualisiert und überarbeitet; derzeit befindet sie sich in Diskussion. Die Umsetzung ist per 01.01.2024 geplant.

Von ATAD 3 sind sämtliche Unternehmen in der EU betroffen, es gibt grundsätzlich keine Eintrittsschwelle. Die Richtlinie sieht ein sequenzielles Prüfschema vor («gateway test»). Die erste Stufe ist ein Substanz-Einstiegstest, der - vereinfacht dargestellt - untersucht, ob eine fehlende bzw. untergeordnete operative Tätigkeit besteht. Gemäss Richtlinienentwurf ist dies u.a. dann der Fall, wenn passive Erträge über 65% des Umsatzes oder entsprechende Vermögenswerte 65% der Aktiven ausmachen. Des Weiteren gilt der Einstiegstest als erfüllt, wenn ein Unternehmen grenzüberschreitend tätig ist, d.h. mindestens 55% der Vermögenswerte im Ausland liegen und/oder Erträge zu mindestens 55% aus grenzüberschreitenden Transaktionen stammen. Zudem kann auch die Auslagerung der Verwaltung bzw. des Tagesgeschäfts (Outsourcing) ein Indiz für fehlende Substanz sein. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Richtlinie einen Ausnahmekatalog vorsieht, so beispielsweise für börsenkotierte Gesellschaften oder Personal-Holdings mit Sitz im gleichen Staat wie der Anteilseigner.

Wird der Einstiegstest erfüllt (keine kumulative Erfüllung nötig, d.h. die Erfüllung eines einzigen Kriteriums genügt), erfolgt in einem zweiten Schritt die Prüfung der Mindestsubstanz im Sinne der zweiten Stufe des sequenziellen Prüfschemas. Dabei sind insbesondere folgende Kriterien und Fragestellungen relevant (Widerlegung der Vermutung einer Briefkastenfirma mittels individuellen Nachweises bleibt explizit vorbehalten):

  • Verfügt das Unternehmen über eigene Geschäftsräumlichkeiten im Sitzstaat?
  • Besteht ein Bankkonto in der EU mit aktiver Nutzung?
  • Wohnt die Mehrheit der Mitarbeitenden (sowie mindestens eine Person der Geschäftsführung) im Sitzstaat des Unternehmens sowie in angemessener Entfernung zum Firmendomizil?
  • Weisen die Mitarbeitenden ihrer Tätigkeit entsprechende Qualifikationen auf?
     

Praktische Auswirkungen

Für die Bestimmung der steuerrechtlichen Zugehörigkeit von juristischen Personen ist im Grundsatz der in den Statuten festgehaltene Ort des Sitzes massgebend. Dieser ist jedoch steuerlich insbesondere dann nicht relevant, wenn die juristische Person tatsächlich an einem anderen Ort verwaltet wird. Der Ort der tatsächlichen Verwaltung wird im steuerrechtlichen Sinne dahingehend definiert, als dass an dem Ort die zentralen und laufenden Geschäfte geführt und die - bezogen auf die individuelle Geschäftsaktivität - wesentlichen Unternehmensentscheidungen gefällt werden. Auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat mehrfach bestätigt, dass sich der Ort der tatsächlichen Verwaltung dort befindet, wo die Gesellschaft den wirtschaftlichen und tatsächlichen Mittelpunkt ihrer ökonomischen Existenz hat und die Fäden der Geschäftsführung zusammenlaufen. Die Begrifflichkeit der tatsächlichen Verwaltung ist auch im internationalen Steuerrecht im Grundsatz deckungsgleich.

Wird nun beispielsweise am statutarischen und formellen Firmendomizil bloss ein Briefkasten angeschrieben und spielt sich die tatsächliche Verwaltung und Geschäftstätigkeit der juristischen Person an einem anderen Ort ab, kann dies weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. In Bezug auf die Gewinnsteuer besteht in einem solchen Fall das Risiko, dass Drittstaaten (im internationalen Verhältnis) oder aber auch andere Kantone (im innerstaatlichen Verhältnis) eine Steuerhoheit beanspruchen. Hat die Gesellschaft beispielsweise ausschliesslich am Briefkastendomizil vorbehaltlos die Steuererklärungen eingereicht und die entsprechenden Steuerbeträge bezahlt, kann bei Kennung eines potenziellen kollidierenden Steueranspruchs eine effektive Doppelbesteuerung drohen.

Werden die vorstehend dargestellten Tests gemäss ATAD-3-Direktive erfüllt, hat das Unternehmen entsprechende Informations- und Meldepflichten und muss insbesondere Angaben zur Substanz in der Steuererklärung machen. Eine Nichtbefolgung dieser Informations- und Meldepflichten wird entsprechend sanktioniert. Weitere Folgen können die Verweigerung von Ansässigkeitsbescheinigungen sein sowie die Verweigerung einer Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen. Dies ist insbesondere dann von gewichtiger Tragweite, wenn beispielsweise eine ausländische Tochtergesellschaft eine Dividende an die Schweizerische Muttergesellschaft ausschüttet; dies hinsichtlich Beanspruchung einer Quellensteuerentlastung und/oder Anwendung eines Meldeverfahrens.
 

Fazit

Die EU-Unshell-Initiative ATAD 3 stellt deutlich erhöhte Anforderungen an die Substanz von Unternehmen und setzt damit international einen neuen Massstab. Ob die Direktive in dieser Form umgesetzt wird, kann Stand heute noch nicht abschliessend abgeschätzt werden. Denkbar ist auch, dass einzelne Länder eigenständige unilaterale Massnahmen vorsehen. Die Schweiz ist von ATAD 3 zum heutigen Zeitpunkt als nicht-EU-Mitglied (wohl aber Gründungsmitglied der OECD) - zumindest vorerst - nicht direkt betroffen. Die Ausweitung der Direktive auf Drittstaaten ist jedoch bereits angekündigt. Nicht selten werden solche Direktiven rückwirkend und unilateral eingeführt.

Unabhängig von der konkreten Umsetzung von ATAD 3 dürften mit Blick auf die Entwicklungen in Bezug auf erhöhte Transparenz in der internationalen Besteuerung die Substanzanforderungen an Unternehmen generell steigen. Unternehmen sind deshalb gut beraten, wenn sie die internationalen Entwicklungen genau mitverfolgen und ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten und Strukturen analysieren. Eine frühzeitige Prüfung und Umsetzung allfälliger Massnahmen ist von zentraler Bedeutung.